Onkel Walter

Gräberfeld
Elisabeth Jenders am Grab von Onkel Walter

Wie nah der Krieg noch nach 80 Jahren ist, davon erzählt unser Mitglied Elisabeth Jenders anhand eines Familienschicksals.

Onkel Walter

Walter Sjuts, 1923 geboren, war der Bruder meiner Mutter.Walter in Fliegermontur

Als er im Krieg zum Militär eingezogen wurde, ging er zur Luftwaffe. Er wollte damit seine Eltern und Schwestern in Duisburg schützen.
Während der Operation „Market Garden“, vom 17. bis 27. 9. 1944, flogen britische und US-Bomber von Belgien über die Niederlande nach Norddeutschland, um den Einmarsch von Bodentruppen vorzubereiten. Deutschland schickte „Moskitoschwärme“ einer Menge kleiner Kampfflugzeuge gegen die Invasoren.
Gleich am ersten Tag, am 17. 9.1944, stiegen Walter als Flugzeugführer, Ernst Fischer als Bordwart und Herbert Schmidt als Bordfunker in einer Messerschmitt Bf-110 auf. Über der Heide von Sint Anthonis, nahe Venlo, wurden sie abgeschossen. Alle waren sofort tot.

Über 30 Jahre später begann meine Mutter, Walters Schicksal nachzuforschen Sie fand den Mann, der damals das Flugzeug gefunden und die Besatzung begraben hatte. Inzwischen waren die Überreste nach Ysselsteyn umgebettet worden, dem größten deutschen Soldatenfriedhof, mit über 32 000 Gräbern. Walter und seine Kameraden wurden als „Ein deutscher Soldat“ bestattet, weil nicht klar war, wer von denen wer war. Intern jedoch waren die vermutlichen Namen bekannt.

Ysselsteyn, wie auch alle anderen deutschen Soldatenfriedhöfe, wird betreut vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, kurz Volksbund.

„Vom Feindflug nicht zurückgekehrt“
„Vom Feindflug nicht zurückgekehrt“

Im Sommer 2017 wandte sich ein Oberleutnant der niederländischen Armee an meinen Bruder, der ihn an mich verwies. Man habe alle drei aus der Bf-110 exhumiert und suche nun Angehörige, die eine DNS-Probe zur Identifizierung abgeben können. Das habe ich natürlich gerne getan. Nach einigen Wochen kam die Nachricht „Bingo – Volltreffer“: Walters Überreste waren nach über 70 Jahren identifiziert! Und die seiner Kameraden ebenfalls.

Im Frühjahr 2021 schickte der Volksbund eine Einladung zur Wiederbestattung.
Es war eine sehr würdige und bewegende Zeremonie.
Anwesend waren, neben den Angehörigen des Soldaten Otto T., einige deutsche Militärangehörige, davon zwei Offiziere, die bei der deutschen Botschaft arbeiten, drei Angehörigen des Königlich Niederländischen Heeres und drei niederländische Zivilisten.
Wir alle gingen erst zum Grab von Otto, danach zu dem von Walter, Ernst und Herbert. Jedes mal sprach zuerst der Militärpfarrer. Dann konnten die Angehörigen einige Worte sprechen. Danach legten zwei deutsche Offiziere einen Kranz nieder. Die anderen salutierten. Eine niederländische Soldatin spielte auf ihrer Trompete.
Später, bei einem Imbiss, wurde den Angehörigen von Otto ein großer Bilderrahmen präsentiert mit dem restaurierten Inhalt von Ottos Brieftasche, mit Soldbuch, einigen Geldscheinen und anderem.

Absturzstelle in der Heide bei Sint Anthonis

Mir machten die Zivilisten Iwan und Arno van Dijk und Hans Ooms das Angebot, mich zur Absturzstelle zu fahren, in die Heide von Sint Anthonis. Normalerweise ist das Naturschutzgebiet für Besucher gesperrt, die van Dijks hatten einen Sondergenehmigung erwirkt. Iwan war als Schüler von seinem Lehrer, der sich nebenbei mit der Suche und Identifizierung von Kriegsopfern beschäftigte, angesprochen worden, ob er mit seinem Metallsuchgerät versuchen könne, Walters Maschine zu finden. Iwan gab mir einen Schuhkarton mit Gegenständen, die er vor 30 Jahren an der Absturzstelle gefunden hatte: Eine Schuhsohle, ein Teil eines Bordinstruments, ein Koppelschloss und Plexiglassplitter.

An der Absturzstelle angekommen machten sich die drei gleich auf die Suche nach noch weiteren Bruchstücken; es kam eine gute Handvoll Plexiglassplitter und ähnliches zusammen. Alles wanderte in den Schuhkarton.

Absturzstelle in der Heide bei Sint Anthonis
Absturzstelle in der Heide bei Sint Anthoni (Im Hintergrund Hans und Arno beim Suchen)

Bei einer Tasse Kaffee bei Hans gab dieser mir aus einem Ordner etliche Unterlagen wie Briefe meiner Mutter an ihren niederländischen Briefpartner, und eine Kopie des Luftwaffenberichts über die aufgestiegenen Flugzeuge des 17. 9.1944, mit dem Zusatz, welche verschollen waren.

Walter starb, bevor ich zur Welt kam. Meine Mutter sprach nur selten von ihm. Aber seit diesem Tag auf Ysselsteyn fühle ich mich mehr verbunden mit Walter. Sein leerer, trauriger Blick auf dem Bild, das ich von dort mitnehmen durfte, trifft mich.

Es ist erstaunlich, und tröstend zu wissen, wie viele Menschen sich auch heute noch mit der Bergung und Identifizierung von Kriegsopfern beschäftigen und Freude darin finden, den Angehörigen gute Nachrichten zu bringen.
Inzwischen bin ich beim Volksbund Mitglied und bekomme die Zeitschrift „Frieden“. Die Suche nach Toten in vielen Gebieten der Erde ist noch nicht zu Ende. Erst neulich las ich, dass in Königsberg / Kaliningrad und auf der Krim erfolgreich geborgen und auf den nächsten Soldatenfriedhof überführt wurde.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte neulich in einem Gespräch zum Stand der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, dass diese leider auf allen Gebieten auf Sparflamme liefen – mit Ausnahme die zur Kriegsgräberfürsorge, die seien sehr gut!

Ob die Ukraine und Russland ebenfalls so eine engagierte Organisation haben, die sich um die Toten, um deren Bergung und Identifizierung und Bestattung kümmert? Ich wünsche es mir für die Hinterbliebenen! Und natürlich – FRIEDEN.