Schweigemarsch 22.11.2020 Hamburg

Von Elisabeth Jenders

22. November 2020 – Totensonntag.
Die Toten mahnen uns. Tote, die schon vor langer Zeit aufgerüttelt haben. Wie Wolfgang Borchert, der in Hamburg auf dem Olsdorfer Friedhof liegt, in seinem Gedicht „Dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“.
Wir trauern um die Opfer und „Kollateralschäden“ der Corona-Krise – um Gestorbene, Verzweifelte und zerstörte Existenzen, um die bedrohten Grund- und Freiheitsrechte, um die schwindende Freude am Dasein, um das verlorenen Vertrauen in das Leben, um die Sprachlosigkeit zwischen den gespaltenen Teilen der Bevölkerung.

Der Text des Aufrufs erklärt, warum wir schweigend mahnen:

Wir schweigen, weil man nicht debattieren will.
Wir schweigen für Frieden, Freiheit und Demokratie.
Wir schweigen, weil es dringend an der Zeit ist zu reden.
Zeig Dich auf der Straße.
Schweig lautstark mit.


„Wir müssen reden“, hieß es auf dem Transparent, das die Teilnehmer bei den an diesem Tag stattfindenden Schweigemärschen in vielen Städten Deutschlands und Österreichs trugen.
Im Hamburg war es „Oma Ilona“ Dittmar, unsere 2. Bundesvorsitzende, die den Marsch dort anmeldete und organisierte.

Am Gänsemarkt, um 14 Uhr, trafen sich die Teilnehmer. Ilona hielt eine kurze Ansprache: Wir wollen als Menschen gemeinsam etwas bewegen, für anstatt gegen etwas sein. „Wir Menschen zusammen in Frieden für den Wandel“, wie Kilez More es ausdrückt.
Die Teilnehmer formierten sich, sechs nebeneinander, sechs Reihen, mit etwas Abstand zum nächsten Block. Es war ein langer Zug von schätzungsweise tausend Menschen, das Friedensfahrzeug vorneweg, der sich dann über den Jungfernstieg über die Bergstraße und Mönckebergstraße zum Gerhart-Hauptmann-Platz bewegte. Dort fand eine kurze Abschlusskundgebung statt – Ilona wollte den Leuten einige ermutigende Gedanken mitgeben.
Sie erinnerte daran, dass Hamburg etwas Besonderes hat, und las die Präambel der Hamburger Verfassung, die sich zum friedlichen Miteinander und Gerechtigkeit im Geiste des Wohles des Ganzen bekennt:

 

„Die Freie und Hansestadt Hamburg hat als Welthafenstadt eine ihr durch Geschichte und Lage zugewiesene, besondere Aufgabe gegenüber dem deutschen Volke zu erfüllen. Sie will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein. …“

Sie zitierte Sophie Scholl in Ihrer Gerichtsverhandlung:

„Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele, nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“

„Wir sind die Veränderung, die wir uns gewünscht haben“, schloss Ilona.

Leider wurde unser friedlicher Schweigemarsch massiv durch Gegendemonstranten gestört. Schon während der Vorbereitungen auf dem Gänsemarkt spielten zwei kaputte Typen laute, aggressive Musik ab, es kamen viele mit Transparenten und skandierten Parolen während Ilonas Ansprache. Die Polizei drohte ihnen, Wasserwerfer einzusetzen, worauf sie sich verzogen und entlang unseres Weges aufstellten oder sich an Blockaden unseres Zuges beteiligten. Während der Schlusskundgebung heulte längere Zeit eine laute Sirene, andere hämmerten auf Metallrohre. Unverständlich, warum die Polizei nicht energischer die dem Totensonntag geziemende Ruhe durchsetzte.

Aber vielleicht ist es unsere Aufgabe zu lernen, äußere Anfeindungen von uns abprallen zu lassen und innerlich im Frieden und ruhig zu bleiben. Nur durch unser inneres Licht kann das Dunkel in den irregeleiteten Störern durchdrungen werden.