Macht sich der türkische Präsident damit zum „neuen Hitler“?
Die folgende Analyse ist keine Rechtfertigung der Politik Erdogans, sie soll jedoch einen differenzierteren Blick auf die aktuelle Türkeikrise ermöglichen, bei der das zunehmend despotische Auftreten Erdogans nur die Spitze eines Eisberges zu sein scheint, der einen hoch komplexen Konflikt darstellt. Abgesehen von der sichtlich desinformierten Masse vermag auch ein Großteil der kritischen Bewegung die wahren Hintergründe dieses hybriden Krieges nicht zu erkennen und springt auf den Zug des plumpen Türkei-Bashings auf.
Ein fataler Fehler, da sich dieser Konflikt nicht nur zu einem weiteren internationalen Brandherd entwickeln könnte, sondern auch in Deutschland gesellschaftlichen Sprengstoff mit sich trägt. In der Bundesrepublik leben über vier Millionen Bürger türkischer Herkunft, die nicht nur die prozentual größte Minderheit mit Migrationshintergrund stellen, sondern allgemein auch sehr gut integriert sind.
Ein Konflikt zwischen deutschen und türkischstämmigen Bürgern wäre Wasser auf die Mühlen einer bereits brodelnden Gesellschaft. Diese Analyse ist ein Aufruf genauer hinzuschauen und sich der beabsichtigten Spaltung entgegen zu stellen.
Der türkische Präsident Erdogan ruft andere Staaten auf, den Handel mit dem US-Dollar einzustellen. Damit reiht er sich ein in eine handvoll „Schurkenstaaten“ ein, die mit unterschiedlichem Erfolg der globalen Hegemonie des US-Dollars die Stirn geboten haben oder es noch immer tun – Irak, Lybien, Iran, Russland, China.
Mit der Türkei ergibt sich jedoch ein Sonderfall, denn das Land am Bosporus ist Mitglied der NATO, stellt mit über 600.000 Soldaten zahlenmäßig die zweitstärkste Armee des Militärbündnisses und ist durch die geographische Lage militärstrategisch von existenzieller Bedeutung für die globale Full-spectrum Dominance des Pentagons.
Die Spannungen zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten bestehen jedoch nicht erst seit gestern und gehen aus dem Konflikt um Syrien hervor. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe und der Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation mit den russischen Streitkräften, streckte Ankara seine diplomatischen Fühler Richtung Kreml aus, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
Im Laufe des Konfliktes intensivierte die Türkei die Absprache mit Moskau und Tehran bei Kampfeinsätzen in Syrien und richtete ihre geopolitische Strategie neu aus – ein Dorn im Auge Washingtons.
Ein Wendepunkt in den westlichen Beziehungen zur Türkei stellt der Putsch im Juli 2016 und den anschließenden Massenverhaftungen Oppositioneller und Militärs, u.a. mit engen Beziehungen nach Washington, dar. Drahtzieher des Putsches waren Kräfte der Gülenbewegung. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass auch westliche Geheimdienste in den Putsch involviert waren.
Ab diesem Zeitpunkt wurde die Türkei medial zum Abschuss freigeben und das „Rampenlicht“ auf Erdogans autoritären Kurs gerichtet.
Erstaunlich, denn der seit Jahren betriebene Abbau demokratischer Strukturen und die Verhaftung zahlreicher Journalisten wurde von der hiesigen Medienlandschaft stets geduldet und ignoriert. Auch die Beteiligung der Türkei in die völkerrechtswidrige Destabilisierung Syriens und die Finanzierung islamistischer Terrorgruppen wie IS, FSA und Al-Nusra, inklusive der Inszenierung von Giftgasanschlägen, war längst kein Geheimnis mehr.
Der aktuelle Verfall der türkischen Lira ist ebenfalls kein Zufall und basiert auf der Zinsanhebung der FED sowie der massiven Herabstufung durch Ratingagenturen, ohne Rücksicht auf die tatsächliche Wirtschaftskraft des Landes.
Diese Ratingagenturen sind ein essentielles Machtinstrument der herrschenden Klasse des globalen Finanzsystems. So ist z.B. der Finanzoligarch Warren Buffet größter Anteilseigner der US-Ratingagentur Moody’s, die eine führende Rolle in der Herabstufung der türkischen Währung einnimmt. Dies ist auch der Grund für Erdogans Kriegserklärung gegen den US-Dollar in Zusammenarbeit mit Russland und China.
Parallel entstand im Norden Syriens ein weiterer Interessenskonflikt zwischen der Türkei und den USA. Seit dem vorläufig gescheiterten „regime change“ in Syrien mithilfe islamistischer Terrorgruppen, rüstet Washington eine schlagkräftige Söldnerarmee von Kurden (SDF & YPG) im Norden Syriens auf. Ziel ist, die syrischen Öl- und Gasfelder zu sichern und den Iran (im Interesse Israels) vom Mittelmeer abzuschneiden – ein enormes Sicherheitsrisiko für die instabile Türkei.
Ganz nebenbei wurden in den Gebieten der marxistischen Kurdenmilizen ein Dutzend Militärbasen aufgebaut, in denen über 2.000 amerikanische, britische, französische und Gerüchten zufolge sogar deutsche Spezialkräfte stationiert sein sollen. Das alles geschieht völkerrechtswidrig auf syrischem Staatsgebiet.
Interessant könnte auch die Rolle der Türkei in der Schlacht um die letzte Terrorhochburg in der syrischen Provinz Idlib werden, denn im Syrienkrieg spielt die Türkei trotz geopolitischer Neuausrichtung noch immer eine zwielichtige Rolle. Türkische Truppen halten zahlreiche Militärbasen in dem von islamistischen Terrormilizen gehaltenen Gebiet. In Idlib könnte sich nicht nur der Ausgang des Syrienkrieges, sondern auch die endgültige Rolle der Türkei sowie die zukünftigen Machtverhältnisse im nahen Osten entscheiden.
Die aus dem Syrienkrieg hervorgegangene Türkeikrise ist das Paradebeispiel eines modernen Konfliktes und zeigt neben der hohen Komplexität auf, wie schnell sich „kleine“ Zündeleien zu einem regionalen bis globalen Flächenbrand ausbreiten können.
Vor allem ist es aber ein beispielloses Auftreten des international agierenden tiefen Staates – ein Begriff, der in der Türkei geprägt wurde – durch ein Zusammenspiel des globalen Finanzsystems mit Energie- und Rüstungskonzernen, imperialer Geopolitik und hybrider Kriegsführung aus Propaganda, Geheimdiensten, Black Ops und Terrormanagement.
Erneut wurde die westliche „Wertegemeinschaft“ demaskiert, die totalitäre Staaten wie Saudi Arabien hofiert, solange sie systemkonform sind, aber gleichzeitig unter dem ewigen Vorwand von Freiheit und Menschenrechte gegen Staaten vorgeht, die die bestehenden Machtstrukturen in Frage stellen, selbst wenn diese aus den eigenen Reihen stammen.
Eine neoliberale „Wertegemeinschaft“, die seit langem ihre Glaubwürdigkeit verloren hat, wissenschaftlich als Oligarchie entlarvt wurde, und selbst ununterbrochen den Abbau von Freiheit und Demokratie vorantreibt.
Auch die deutsche Bundesregierung ist Teil dieser scheinheiligen „Wertegemeinschaft“, stellt wieder einmal die Interessen der Finanzeliten, globaler Großkonzerne und Geostrategen über die der eigenen Bürger und riskiert dadurch mehr als nur einen gesellschaftlichen Streit mit den türkischstämmigen Mitbürgern. In der Türkei befinden sich derzeit drei Millionen syrische Flüchtlinge, die die türkische Regierung von einer Weiterreise nach Europa abhält.
Eine Eskalation des Streits mit Ankara könnte Erdogan zu einer Öffnung der Schleusen bewegen. Ereignisse wie Sylvester 2015, G20 in Hamburg, der Anschlag in Berlin oder Chemnitz wären nur ein kleiner Vorgeschmack auf das bevorstehende Chaos.
Scheinheilige Floskeln werden an den zunehmend schlechteren Beziehungen zwischen Berlin und Ankara nichts ändern. Ehrliche Politik muss folgen!
Die Deutsche Mitte teilt das Anliegen der türkischen Regierung, sich aus dem System des US-Dollars zu lösen. Künftig darf nie wieder eine nationale Währung Weltleitwährung sein.
Mehr Information zu den Zielen der Deutschen Mitte zum Thema Finanzen hier