Ist die Dreigliederung des sozialen Organismus von Rudolf Steiner eine Lösung für die Probleme unserer Zeit? (Teil 1)

Dreigliederung
Grafik: © Rudolf Steiner Gesellschaft e.V.

Der Kommunismus ist als nicht praktikable Wirtschaftsordnung in den neunziger Jahren zusammengebrochen. Die USA haben sich mit ihrer Form des Kapitalismus als Sieger empfunden. Während in Deutschland die Bremsung durch die „soziale Marktwirtschaft“ noch lange Zeit für friedliche Verhältnisse gesorgt hat, ist in den USA durch die Deregulierung in den Zeiten von Ronald Reagan die raubtierhafte Seite des Kapitalismus freigelassen worden.

Die jetzige Form des Neoliberalismus ist die Endstufe dieses völlig asozialen Prozesses, der darin enden muß, daß ein paar Menschen sämtliche Mittel und Güter besitzen und der Rest der Menschheit rechtlos, völlig verelendet und in ständiger Existenzangst um die verbliebenen Brotsamen gegeneinander kämpft. Ein förderliches, soziales Miteinander ist unter solchen Umständen gar nicht möglich.

Rudolf Steiner

Der Begründer der Anthroposophie, Dr. Rudolf Steiner, hat diese Entwicklungen schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts vorhergesehen und auf natürlichen Gesetzen aufbauend ein anderes Modell der Ordnung entwickelt, die Dreigliederung des sozialen Organismus. Er hat die in der Natur vorkommenden Funktionskreisläufe als Vorbild genommen.

Daher spricht er auch von der zu ordnenden Gesellschaft als einen sozialen Organismus. So unterscheidet er im Körper den Atem- vom Stoffwechselkreislauf und als dritten Funktionszirkel die Sinnesorgane mit ihrer Zentralsteuerung, dem Gehirn. Der Stoffwechsel entspricht dem Wirtschaftskreislauf, der dem Organismus die notwendigen Mittel zum Überleben zur Verfügung stellt. Dem Atemkreislauf stellt er für die Gesellschaft der Menschen das Geistesleben gegenüber und der sinnlichen Aussteuerung des Körpers entspricht das Rechtswesen und die eigentlichen Funktionen des Staates.

Freiheit, Gleichheit, BrüderlichkeitDem ordnete er auch die Begriffe der französischen Revolution zu: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wobei die Freiheit ausschließlich im Geistesleben möglich ist, die Gleichheit das Grundprinzip im Rechtsleben sein sollte und die soziale Friedenssicherung die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben garantiert.

Das Wesentliche ist jedoch die Unabhängigkeit dieser Funktionszusammenhänge untereinander. Heute dominiert die Wirtschaft alle anderen Bereiche, während das Geistesleben als Quelle der Ideen und Lösungen von Verordnungen und Gesetzen des Staates, sowie den Sachzwängen der Wirtschaft weitestgehend soweit eingeschränkt ist, daß unsere Kinder spätestens nach der Grundschule allesamt fast wie „geistig behindert“ sind. Auch die sozialen und ethischen Kompetenzen werden durch unsere moderne Form der „Kinderbetreuung“ weitestgehend eingeschränkt.

Universität HörsaalSie stimmen sich untereinander ab, aber die Steuerungsinstanzen der einzelnen Funktionsbereiche müssen aus den Bereichen selbst kommen, weil nur dort die entsprechende Kompetenz entstehen kann. Wie verheerend die Begehrlichkeiten der Wirtschaft heute das Ausbildungswesen verstümmelt haben, können wir im ehemaligen Land der Dichter und Denker erschreckend an den Ergebnissen der PISA-Studien ablesen und dem desaströsen Zustand an unseren Universitäten.

So ist es das Geistesleben, welches wir zunächst „befreien“ müssen, damit überhaupt erst Menschen sich entwickeln können, die in der Lage sein werden, die komplexen Probleme unserer global vernetzten Zeit verstehen zu können und dafür ethisch tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Kultusministerium Hessen„Schulpolitik“ wird es innerhalb der Dreigliederung nicht mehr geben. Es sind die Pädagogen, die entscheiden, wie die Ausbildung unserer Nachkommen optimal organisiert wird. Der Begriff der „Erziehung“ sollte als Kernbegriff für die Fehler der Vergangenheit erkannt werden. Manfred Spitzer und Gerald Hüther werden nicht müde uns zu erklären wie weit die praktizierte Schulpolitik hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen zurück liegt. Bei den anstehenden Problemen können wir uns ein blindes „Weiter so“ gar nicht leisten!

Auf geteiltes Echo dürfte die Forderung des Verzichts auf ein Wirtschaftsministerium stoßen. Die Neoliberalen dürften frohlocken, mit dem Argument, daß sie das ja schon immer gesagt hätten, während die weitestgehend links orientierten Menschen sich durch staatliche Eingriffe mehr Gerechtigkeit für die abhängig Beschäftigten versprechen.

I am not your slaveAn dieser Stelle ist sehr wichtig zu verstehen, wie sehr wir noch immer durch das Denken aus der Antike geprägt sind, in dem die Sklavenwirtschaft der Motor der einzelnen Herrschaftsbereiche war. Viele Kriege dienten der Beschaffung gerade dieses wichtigen „Rohstoffes“. Mit dem Begriff des „Arbeitnehmers“ für all diejenigen, die gezwungen sind ihre Lebenszeit zu verkaufen, sind sie zwar rechtlich scheinbar „freie“ Menschen, faktisch erleben sie sich, bis auf ein paar wenige Privilegierte, als Arbeitssklaven.

Im heutigen, vollkommen entfesselten Neoliberalismus spricht man ja auch offiziell von „human resources“ als unnötig teuren Rohstoff, der möglichst schnell durch Maschinen ersetzt werden muß. Vielleicht ist gerade die technische Entwicklung der Miniaturisierung und Digitalisierung die Chance für uns, aus dieser menschenverachtenden Tretmühle auszusteigen.

KI RoboterSicher ist, daß im Zuge von Industrie 4.0 alles durch Maschinen und KI’s (künstliche Intelligenz) ersetzt werden wird, was durch sie ersetzt werden kann. Selbst Berufe, die ein intensives und teures Studium erfordern werden davon betroffen sein, wie schon jetzt ein Rechner weit bessere Diagnosen beim Auslesen von MRT’s (Magnetresonanztomographie) erstellen kann, als ein Team geschulter und erfahrener Ärzte!

Nach Rudolf Steiner ist die Arbeit eine Leistung des Geistes und kein Element des Wirtschaftskreislaufs. In der Wirtschaft gibt es nur Waren, bzw. Dienstleistungen und damit die Produzenten und demgegenüber die Verbraucher. Dazwischen gibt es nur noch die Händler. Ein faires Geschäft kommt nur zustande, wenn Produzent und Verbraucher sich einig sind. Der Händler darf nur als Vermittler agieren.

Schauen wir uns die Verzerrungen der „freien Marktwirtschaft“ heute an. Riesige Handelsketten diktieren den Produzenten die Preise, die sie nach Belieben nach unten drücken, während auf der anderen Seite die Verbraucher keine Wirkung auf die Produktion ausüben können. Die Werbung schreibt ihnen vor, was sie zu wollen haben.

Solidarische LandwirtschaftDas es auch anders geht zeigen Bewegungen wie z.B. die CSA-Höfe (Community Supported Agriculture = Gemeinschaft unterstützte Landwirtschaft). In diesem Modell der Landwirtschaft suchen sich einige Menschen einen Bauern, der für sie das Gemüse anbaut, welches sie gerne haben möchten. Dafür wird der Bauer bezahlt, damit er sein Wissen und Können einbringen kann, gesunde und gute Lebensmittel herzustellen. Der Bauer hat damit den Absatz gesichert und die Gemeinschaft ihre Versorgung mit gesunden Lebensmitteln gesichert. Hier können sich auch Menschen, die mehr Zeit als Geld haben ihre Fähigkeiten und Arbeitskraft mit einbringen, um dadurch ebenfalls an gesunde Nahrung zu kommen. Der Bauer kann bei Bedarf auf diese Hilfskräfte zurückgreifen.

Auch eine Gemeinwohlökonomie läßt sich auf so eine Weise in kleinen Netzwerken aufbauen, ganz ohne große staatliche Kontrolle. Kleine ineinander verschachtelte Netzwerke, die sich selbst miteinander aussteuern dürften das Lösungsmodell für die nähere Zukunft sein.

Das ein organisatorischen Monstrum wie die EU niemals imstande sein kann, die sich immer schneller wandelnden Situationen zu meistern, hat nicht nur der Zusammenbruch der Sowjetunion gezeigt. Man kann es auch an Hand von kybernetischen Steuersystemen zeigen. Strunzdumme Roboter können in der Masse Aufgaben viel effektiver und billiger lösen als eine hochintelligente Zentralsteuerung mit all ihren Problemen der sicheren Kommunikation und gestörten Rückkoppelungsschleifen.

VogelschwarmSchwarmintelligenz ist hier das Zauberwort. In der Natur am besten zu beobachten bei der Organisation der Ameisenstaaten oder der Vogelschwärme oder an jeder Fußgängerampel zu Stoßzeiten.

Die Deutsche Mitte hat die Dreigliederung in ihr Wahlprogramm aufgenommen und ist damit die erste politische Partei, die diesen weitsichtigen Lösungsansatz in gesellschaftliche Realität umsetzen will.

(Der Artikel wird fortgesetzt)

Weitere Informationen zur Sozialen Dreigliederung